Für die einen ist es der Inbegriff des Kampfes gegen Intoleranz. Für die anderen ist es eine engstirnige Verirrung, die die politische Linke, ja die Gesellschaft insgesamt spalte. Das sind die Pole, die in der Debatte über linke Identitätspolitik aufeinandertreffen. Dabei dürfte sich die Frage eigentlich so nicht mehr stellen. Zu offensichtlich ist, dass dieser Ansatz – neuerdings auch als Wokismus verhandelt – versagt. Als dominante Denkform im eher linken Spektrum, die zunächst in linken Nischen keimte und dann alle Mitte-Links-Parteien beeinflusste, trägt jene Identitätspolitik eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation: Wäre sie eine effektive Sache gegen Rechtsextremismus, gäbe es den Rechtsruck nicht.
Die Frage ist daher vielmehr: Handelt es sich bei den Woken bloß um Akteure, die den Kräften von Rechtsaußen ungewollt in die Hände spielen, um »nützliche Idioten«, wie manche sagen? Oder stehen sie gar für eine Denkform, die regressive Momente mit dem Rechtsextremismus teilt – zum Leid der aufgeklärten, dialogfähigen Teile der Gesellschaft? Diesen Fragen geht der Club Volantaire nach, in dem zahlreiche Diskutanten zu klären versuchen, wie sich das Zusammenspiel zwischen den Woken und den Rechten genau gestaltet.
Hierüber debattierten die Gäste des Club Volantaire am 24. November 2023 im SAALBAU Gutleut in Frankfurt am Main.
Zu Gast:
Till Randolf Amelung
Ist freier Autor mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen. Zunächst Studium der Geschlechterforschung und Geschichtswissenschaft, danach Arbeiten zu geschlechtersensibler Gesundheitsversorgung sowie Diversity und Gleichstellung. Texte v.a. bei Queer Nations, der Jungle World und in Sammelbänden. Autor von Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
»Woker Aktivismus verabsolutiert subjektive Empfindungen und schätzt vernunftbezogene Debatten gering. Das führt zur Pflege des Opferseins, aber nicht zur Emanzipation.«
Jörg Finkenberger
Lange aktiv in gewerkschaftlicher, autonomer und antifaschistischer Politik. Hat Jura studiert, als Rechtsanwalt gearbeitet, über Staatstheorie, Rechtsgeschichte und materialistische Gesellschaftskritik geschrieben. Außerdem Islamwissenschaften, Indologie und Orchideenfächer studiert, plus 15 Jahre Arbeit in der autonomen Gastronomie. Mitherausgeber des Magazins Das Grosse Thier, wo er v.a. über Bewegungskritik schreibt.
»›Woke‹ ist nicht einfach ein neues Wort für links, es ist ein Synonym für die Scheinheiligkeit der Herrschenden. Jeder woke Angriff auf die Redefreiheit ist ein Angriff auf die Linke.«
Chantalle El Helou
Studiert Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Master. Schwerpunkt auf Politische Theorie und Ideengeschichte. Im September erschien ihr Essay Vom Queersexismus zur Emanzipation – Ein Lagebericht mit Auswegen im Querverlag. Hält regelmäßig Vorträge zur Kritik an queerer Theorie und Bewegung. Aktiv bei den Falken Jena und in der Gesellschaft für kritische Bildung.
»Der Hauptfehler der postmodernen Linken ist, dass sie die Bestimmtheiten des menschlichen Lebens – beispielsweise Geschlecht – vornehmlich als Frage der Identität versteht.«
Eszter Kováts
Ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien. Lange zuständig für das ostmitteleuropäische Genderprogramm der FES in Budapest. Dissertation zur Bedeutung und Funktion des Genderbegriffs in der Politik des Orbán-Regimes und der deutschen radikalen Rechten (2022 als Buch veröffentlicht). Sie schreibt u.a. zum Verhältnis von radikaler Rechter und woker Linker, etwa bei Social Europe und Internationale Politik und Gesellschaft.
»Das Woke fügt sich in den individualistischen Zeitgeist ein; die Gesellschaftskritik bleibt bloß moralisierend. Gegen die radikale Rechte hilft das nicht. Im Gegenteil.«
Sinan Kurtulus
Zunächst Abitur als Sohn deutsch-türkischer Akademiker-Eltern, anschließend Studium zum Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik. Machte sich dann mit Musik- und Filmproduktionen selbstständig. Seit 2021 präsentiert er die wöchentliche Show »SinansWoche« auf YouTube, in der er gesellschaftspolitische Themen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Nach eigenem Bekunden provokant, aber immer oberhalb der Gürtellinie.
»Wokeness verhält sich wie eine Autoimmunerkrankung. Mit einer hypersensiblen Feinderkennung wird sich auf alles gestürzt, was das fragile Gedankengebäude bedroht.«
Holger Marcks
Arbeitet als Sozialwissenschaftler insbesondere zum Thema Rechtsextremismus. Schreibt daneben auch zu anderen politischen Themen. Zeitweilig Redakteur der Direkten Aktion und der Jungle World. Als Autor vor allem tätig zu modernen Faschismus-Varianten sowie linker Ideengeschichte. Zusammen mit Felix Zimmermann schreibt er das Online-Buch Zurück nach vorn. Ein sozialrepublikanisches Panorama (www.soziale-republik.org).
»Linke Identitätspolitik hat eine klassistische Funktion: Sie dient der sozialen Abgrenzung, nicht den Interessen von Subalternen. Den Rechten macht man es damit einfach.«
Sebastian Schnelle
Ist promovierter Philosoph und beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit extremistischen Ideologien, insbesondere religiösem Fundamentalismus und Rechtsextremismus. Außerdem Interesse an »linken« Formen identitärer Politik und der Entwicklung der Debattenkultur. Als Freund der Aufklärung betreibt er den Podcast »Vorpolitisch«, mit dem er das gepflegte politische Gespräch fördern möchte.
»Woke Theorie ist originär rechtsextremem Gedankengut näher, als dies ihren Vertretern recht sein dürfte. Beides befördert unweigerlich ein irrationales Stammesdenken.«
Moderation
Malte Clausen & Judith Faessler.
Eintritt
5 Euro (ermäßigt 3 Euro)
Anfahrt
SAALBAU Gutleut
Rottweiler Straße 32
60327 Frankfurt am Main